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#MeToo in der Fahrschule: Verlorener Kampf gegen Belästigung

#MeToo in der Fahrschule: Verlorener Kampf gegen Belästigung

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Ein Fahrlehrer-Griff ans Lenkrad ist ok, die Hand auf die Hand der Schülerin oder gar auf ihre Schenkel zu legen, ist hingegen eindeutig eine Belästigung (Symbolbild). Foto: Nicolas Armer/dpa
  • Drei Frauen erheben schwere Vorwürfe gegen Fahrlehrer.
  • Auch Kollegen halten Mann für zwielichtig.
  • Behörden und Justiz scheinen machtlos.

Braunschweig. 

Das ist die Geschichte von Aileen, Sarah und Sophie. Ihre Namen sind geändert, weil sie Angst haben vor jenem Mann, von dem sie teilweise schon vor Jahren – unabhängig voneinander – nur eines wollten: eine gute Fahrausbildung.

Was sie vom Chef einer Braunschweiger Fahrschule aber tatsächlich bekamen, war etwas ganz anderes: Anzügliche Herrenwitze, unverhohlene sexuelle Belästigungen – und direkte Angebote. „Du würdest doch auch mit mir schlafen“, soll der Fahrlehrer seiner Schülerin Sophie bei der Verabschiedung nach einer Nachtfahrt zugeraunt haben.

Seinen Versuch einer Umarmung habe sie zwar abwehren können, „aber ich war total schockiert und fühlte mich entwürdigt„, erzählt die damals 23-Jährige.

„Das kam so plötzlich, und ich kam mir so hilflos vor.“ Zumal es nur noch wenige Tage bis zur Fahrprüfung gewesen seien – und ihr Lehrer sich nach dem Nachtfahrt-Vorfall nicht etwa zurückgehalten habe. Im Gegenteil.

„Brust raus“

Für die Prüfung hat er Sophie geraten: „Kopf hoch, Brust raus – du hast doch genug davon.“ Es waren offenbar nicht die einzigen gezielten Anspielungen auf die Anatomie seiner Schülerinnen: So soll er der damals 19-jährigen Sarah gedroht haben: „Wenn du morgen nicht bestehst, versohle ich dir deinen blanken Arsch.“

Wenn sie sich empört gegen solche Verbal-Übergriffe verwahrte, habe er sie verhöhnt: „Heute ist das Mäuschen aber wieder zickig.“ Die #MeToo-Debatte gab’s damals noch gar nicht.

Fahrlehrer spricht von Privatfehde

Von news38.de mit den Vorwürfen konfrontiert, bestätigt der Fahrlehrer zwar, jene „leider seit langem“ zu kennen. Aber er beteuert: „Inhaltlich treffen diese allesamt nicht zu.“ Und: „Aus meiner Sicht handelt es sich um eine Privatfehde.“

Das gelte auch für Vorwürfe, die zahlreiche andere Fahrlehrer gegen die Braunschweiger Branchen-Größe erheben. Nicht nur in Bezug auf Belästigungen von Schülerinnen, sondern auch wegen angeblicher Verstöße gegen Ausbildungsvorschriften – bis hin zu fehlenden Lizenzen und Steuer-Mauscheleien.

Alle Anschuldigungen gegen ihn seien „durch die zuständigen Stellen der Stadt Braunschweig, der Staatsanwaltschaft Braunschweig sowie dem Finanzamt Braunschweig überprüft worden“, hält der Beschuldigte seinen Kritikern entgegen. Und hat damit objektiv Recht.

„Belege über Unregelmäßigkeiten“

Doch ein „Geschmäckle“ bleibt. Dieter Quentin, Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes Niedersachsen und seit kurzem auch Chef der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände, spricht beispielsweise von „eindeutigen Belegen über Unregelmäßigkeiten„. Doch weil besagter Ausbilder aus Braunschweig nicht Mitglied im Fahrlehrerverband sei, „haben wir als Verband keinerlei Sanktionsmöglichkeiten„.

Hinweise nicht ernst genommen?

Von den Behörden hingegen „hätten wir uns gewünscht, dass ganz intensiv den Anschuldigungen nachgegangen wird“, sagt Quentin. Leider habe die Realität anders ausgesehen: So habe die damals zuständige Mitarbeiterin der Fahrschulaufsicht bei der Stadt Braunschweig „die frühzeitig gegebenen Hinweise nicht ausreichend gewürdigt“.

Der in Braunschweig und Wendeburg tätige Fahrlehrer Bernd Blonsky formuliert es weniger diplomatisch: „Ich habe das Gefühl, dass man gleich mit dem Gärtner reden könnte, wenn man sich an die Behörden wendet.“

„Ehrverletzende Vorwürfe“

Bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig sind nach einigen Nachforschungen die Aktendeckel inzwischen wieder zugeklappt. Lediglich die Stadtverwaltung Braunschweig ist in ihrer Eigenschaft als Fahrschul-Aufsichtsbehörde nach einer Beschwerde von Sarah tätig geworden – aber anders als von ihr erwartet.

Denn die – inzwischen versetzte – Mitarbeiterin stufte die Vorwürfe der jungen Frau gegen den Fahrlehrer von ihrem Schreibtisch aus als „ehrverletzend“ und „haltlos“ ein; es war übrigens dieselbe Fahrschul-Aufseherin, die bereits die Hinweise von Verbandschef Quentin ignoriert hatte.

Gegenüber Sarah wollte die Mitarbeiterin aber nichts ignorieren: Sie drohte ihr in ihrer Antwort – natürlich mit dem offiziellen Briefkopf der Stadt Braunschweig („Der Oberbürgermeister“) – mit der Überprüfung ihrer „Eignung zur Führung von Kraftfahrzeugen„. Sprich: mit dem Entzug der Fahrerlaubnis.

Rathaus-Sprecher Adrian Foitzik bestätigte, dass jenes news38.de vorliegende Schreiben der Aufsichtsbehörde authentisch ist – und stufte es als „sehr unangemessen“ ein. Ordnungsdezernent Claus Ruppert habe sich persönlich bei Sarah entschuldigt.

Weitere Fälle bekannt

Und Foitzik spricht davon, dass es offenbar mehrere Fälle sexueller Übergriffe durch Fahrlehrer in Braunschweig gibt. Mit Stand Sommer seien der Verwaltung Vorwürfe gegen vier Fahrlehrer bekannt. Den Opfern rate man, „bei der Polizei Anzeige zu erstatten“.

Schwierige Beweislage

Doch genau bei diesem Punkt beginnen die Probleme, wie Roswitha Gemke vom Verein „Frauen- und Mädchenberatung bei sexueller Gewalt“ einräumt. Zwar sei die Rechtslage seit 2016 günstiger für die Opfer, „weil jetzt sexuelle Belästigung angezeigt werden kann, wo es vorher nur eine Beleidigung auf sexueller Basis war“.

Aber: „Die Beweisbarkeit ist nicht einfacher geworden“ – der „Fahrschulwagen ist ein abgeschlossener Raum“, Vorwürfen belästigter Frauen steht meist das empörte Leugnen der mutmaßlichen Täter entgegen.

Oder, wie im konkreten Fall von Sarah: das Drohen mit juristischen Konsequenzen durch den beschuldigten Fahrlehrer. Eine von ihm anwaltlich eingeforderte Unterlassungserklärung hat sie indes nicht unterzeichnet.

Der Fall mit der Buttersäure

Über Drohungen des besagten Fahrlehrers berichten übrigens auch manche seiner Kollegen: Dass jener provozierende „Patrouillenfahrten“ vor ihren Ladenlokalen unternehme, ist zwar nicht die feine Braunschweiger Art – aber noch legal. Sollte er aber auch für andere Droh-Aktionen verantwortlich sein, würde er die Grenze zur Strafbarkeit weit überschreiten.

Fahrlehrerin Bianca Göhler etwa hat nach einer Buttersäure-Attacke auf ihre Schule „den Laden 14 Tage lang dichtmachen müssen“. Selbst intensivstes Reinigen habe gegen den ekligen Gestank lange nichts ausrichten können.

Ob der Anschlag wirklich auf das Konto des ihr gegenüber wohl schon länger feindselig eingestellten „Kollegen“ geht, lässt sich aber nicht nachweisen. So bleibt ihr nur achselzuckend die Bemerkung: „Zufälle gibt’s…“

„Du bist ja schon ganz feucht“

Auch Aileen, die dritte Ex-Fahrschülerin mit einschlägigen Erlebnissen, beklagt „diese absolute und erniedrigende Hilflosigkeit„. Ihr Rechtsanwalt habe ihr sogar ausdrücklich von einer Anzeige abgeraten, „weil ich sonst wegen Verleumdung und übler Nachrede dran sein könnte“.

Denn dass der Fahrlehrer bei der Begrüßung zu ihr gesagt hat: „Freust du dich, mich zu sehen? Du bist ja schon ganz feucht.“ oder dass er ihr während Ausbildungsfahrten mehrfach die Hand auf die Innenseite ihres rechten Oberschenkels gelegt hat, lasse sich nicht beweisen. „Es war ja sonst niemand dabei.“

Eine bittere Erfahrung, die auch Sarah gemacht hat: Auch ihr haben Anwälte und die Polizei von einer Anzeige abgeraten. Und dies, obwohl sie die Übergriffe sogar protokolliert hat: Strafrechtlich scheint dem Mann kaum beizukommen. So hat es zumindest den Anschein.

1.500 Euro Schmerzensgeld

Aber es gibt auch Fälle in der Region, die vor Gericht landen: Vor dem Amtsgericht Wolfenbüttel beispielsweise musste sich im Sommer vergangenen Jahres ein damals 48-jähriger Fahrlehrer wegen sexueller Belästigung verantworten. Doch: Die Entscheidung des Gerichts sieht nur auf den ersten Blick aus wie ein Erfolg für das Opfer seiner Übergriffe.

Zwar musste der Mann 1.500 Euro Schmerzensgeld an die Frau sowie 300 Euro Geldauflage an den Tierschutz zahlen. Doch vorbestraft ist der Fahrlehrer deshalb noch nicht – was für einen Entzug der Lizenz nötig gewesen wäre.

Das Gericht stellte nach der Zahlung das Verfahren ein, das Führungszeugnis ist weiterhin sauber. Und der Mann unterrichtet bis heute.